Meine Kunst
Viele Erfahrungen, viele Vorbilder, viele Wege führen zur Kunst.Vier Künstler/Innen aber haben mich und meine Arbeit zu verschiedenen Zeiten und auf höchst unterschiedliche Weise doch nachhaltig geprägt : Käthe Kollwitz, Hannah Höch, Honoré Daumier und John Heartfield.
Daumiers künstlerische Haltung "Il faut être de son temps" und das Credo von Kollwitz "Ich will wirken in meiner Zeit" wiesen mir die Richtung bei meiner Suche nach dem Sinn von Kunst. Heartfields kritisch-analytischer Blick auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse half mein Engagement zu präzisieren. Höchs messer-scharfe Schnitte bei der Zerlegung der Geschlechterverhältnisse, die dadaistische Leichtigkeit und das ironische Lächeln, mit denen sie diese neu montierte - sie gaben mir schöpferische Anstöße.
Dieses Quartett repräsentiert sozusagen meine Großeltern mütter- und väterlicherseits.
Auch unter den leibhaftigen Lehrern fand ich wichtige Anreger. In der frühesten Phase meiner Kunstausbildung begegnete ich einem Schüler Pechsteins, der uns angehenden KunsterzieherInnen die Ideen, die Farben und Formen des Expressionismus aus erster Hand weitergab.
Danach, an der Kunstakademie, traf ich in meinem Professor K.H. Sonderborg auf einen Künstler, der just diese Impulse im sogenannten action painting authentisch aufnahm und weiterführte. Er vermittelte uns die Ruhe, das Gewährenlassen, Wartenkönnen auf jenen Moment höchster Konzentration, in dem "Es" zu malen beginnt. Bei ihm erlernte ich eine künstlerische Sprache, die alle Energie in einem Kraftfeld bündelt, die Dynamik von Spannung und Entspannung in den künstlerischen Prozeß einbindet, ja verwandelt.
Zu diesen beiden wichtigen Lehrern trat mit dem Lithographen Erich Mönch der Vertreter einer handwerklichen, ja zünftischen Kunst (deren "Geheimbund" übrigens, nicht unwichtig, geradezu kosmopolitische Verbindungen schuf). Ihrer Parole "Saxa loquuntur" war ich alsbald verfallen.
Daß "die Steine reden" - und auf welch auch technisch vielfältige, geheimnisvolle Weise - faszinierte mich tief. Die Aneignung des Solnhofer Schiefers für die künstlerische Arbeit, die Überwindung des schweren Steins durch die schwerelose Aneignung seiner Gesetze der Abstoßung von Fett und Wasser - all das bildete eine unendliche Herausforderung. Ich rührte meine Farben an und malte, ich radierte und lithographierte. Aus dem Spiel mit Farben und Formen war längst die Verarbeitung von Impressionen und Depressionen geworden, das Reagieren auf menschliche Erfahrungen und Begegnungen. Die harte, auch körperlich harte Arbeit an Lithostein und Lithopresse relativierte jene narzistische Selbstbespiegelung, mit der Kunstakademien einen leicht anstecken. Ich kannte sehr wohl andere Welten als "mich"; aber auf die fundamentalen Probleme der Gesellschaft hatte man uns in den Schulen der Nachkriegszeit nicht vorbereitet.
Mitte der sechziger Jahre stellte ich meine Lithographien zusammen mit anderen im Heidelberger Amerikahaus aus. Bei einem studentischen Go-in, das natürlich mit dem Vietnamkrieg zu tun hatte, wurden unsere Werke als "bürgerliche Scheiße" von den Wänden gerissen. Der Schock, den mir das versetzte, war heilsam. Er trug dazu bei, mich vor einer traditionellen Künstler-Laufbahn zu bewahren und sensibilisierte mich für die gesellschaftlichen Funktionen von Kunst, die ihr, ob sie das will oder nicht, stets zugewiesen werden. Jener Vandalismus ließ mich aber auch hellhörig bleiben für eine Weltverbesserungs-Dogmatik, die nur zu schnell das Beste an Kunst negiert: ihre schöpferische Vielfalt und Widersprüchlichkeit.
Wie es der Bewegung der sechziger Jahre, ihrer Kraft und Aufsässigkeit entsprach, wandte ich mich erst einmal dem Verhältnis von Gesellschaft und Kunst zu. An die Stelle von Ölbild und Lithographie trat der Siebdruck. Wo ich gestern noch alleine vierzig Exemplare auf Bütten angefertigt hatte, produzierten wir heute in der Gruppe vierhundert Drucke auf Offsetpapier. Die Technik der Serigraphie wirkte absolut zeitgenössisch, die Auflagen waren massenfreundlich. Ich entwarf politische Plakate zu den katastrophalen Zuständen - zunächst ferner Länder, immer mehr jedoch auch der eigenen Gesellschaft.
Irgendwann konzentrierte sich mein Interesse auf die Situation von Frauen, ihre sozialen Rollen, ihre politische Unterdrückung und sexuelle Ausbeutung, das Verhältnis von Frau und Mann in der patriarchalischen Gesellschaft. Von Anfang an stand diese künstlerische Reflexion in einem internationalen Kontext. Und natürlich geht es dabei um eine unendliche Geschichte. Mögen gewisse Standards der Gleichberechtigung der Geschlechter in der westlichen Welt inzwischen offiziell einigermaßen anerkannt sein - von einer wirklich gelebten Achtung der Frauen sind wir hierzulande noch himmelweit entfernt, ganz zu schweigen von vielen anderen Ländern und Kulturen.
Meine künstlerische Arbeit war in den folgenden Jahren stark geprägt durch meine Lehrtätigkeit. Dabei lösten sich für mich die Abgrenzungen zwischen den traditionell separierten Bereichen von Wissenschaft und Kunst kontinuierlich auf. Wie ich selbst zugleich wissenschaftlich publizierte und künstlerisch arbeitete, so durchdrangen beide Denkweisen und Praktiken sich in vielen meiner Seminarprojekte, traten in Widersprüche und erzeugten Anregungen. Aus der Theorie entwickelt sich die Kunstpraxis, die wiederum neue Theorien gebiert. Installationen und Performances, interaktive Formen der Kunstproduktion und deren mediale Transformation - diese ganze Vielfalt tritt in eine lebendige Wechselwirkung mit den fundamentalen Fragen, die sich in Politik, Soziologie und Ökologie stellen oder durch die Kultur "der Anderen" aufgeworfen werden.
Ich möchte meine künstlerische Arbeit als Versuch verstanden wissen - als Versuch, die Welt der Bilder in allen Facetten und Aspekten zusammenzubringen mit den Erkenntnissen bzw. Erkenntnisweisen von Kunst- und Kulturgeschichte einschließlich der Alltagsgeschichte.
Eine solche Komposition mag manchmal bizarr wirken, ein andermal wirbelnd wie ein Tanz. Immer aber sollte sie die Musik in uns selbst erklingen lassen.
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